Wirtschaftliches Handeln und Märkte funktionieren immer mit den Menschen. Wer als kontrollierender und gestaltender Aufsichtsrat also nachhaltig erfolgreich sein will ist deshalb gut beraten, auch verhaltenswissenschaftliche Erkenntnisse zu den Akteuren des Wandels für den Unternehmenserfolg zu nutzen. Das Wissen darüber, was Menschen in ihren Entscheidungen und in ihrem Handeln prägt und motiviert, wächst beständig. Im Zusammendenken von menschlichem Verhalten und ökonomischem Kontext verstehen wir immer besser, wie Menschen auf Anreize reagieren, was sie produktiver werden lässt und welche Arten von Informationen dafür relevant sind.
Die wohl wichtigste Erkenntnis der Behavioral Economics ist dabei die Tatsache, dass auch in Zeiten von zunehmender Automatisierung und künstlicher Intelligenz menschliches Verhalten so gar nicht der perfekten Logik eines Superhirns folgt, das in Sekundenbruchteilen eine optimale Kosten-Nutzen-Analyse vorlegt. Unser Handeln wird dagegen geleitet von einem sehr menschlichen, emotionalen und manchmal eben auch fehlbaren Unterbewusstsein. Nudging nutzt die Psychologie dieser Denkfehler, Verzerrungen und mentalen Abkürzungen, um mit einer bewussten Gestaltung von Kontext und Strukturen unserer Entscheidungen schlussendlich positive Handlungen anzustoßen. Daraus ergibt sich ein neuer Werkzeugkasten für die innovative Nutzung sozialer Normen und Verpflichtungsinstrumente im Entscheidungskontext. Die sind nicht nur nachhaltig wirksam, sie führen auch zu einem relevanten Perspektivwechsel auf die Positionen von Mitarbeitern, Aufsichtsratskollegen und Stakeholdern und gleichzeitig zu mehr Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit bei allen Beteiligten.
MINDSPACE – Das erste Nudging Framework
Den ersten Leitfaden für die praktische Umsetzung von Nudging hat das Behavioural Insights Team (BIT) – auch bekannt als Nudge Unit der britischen Regierung – schon in 2010 veröffentlicht. Mit dem MINDSPACE Framework wurden insgesamt neun Effekte identifiziert, die einen starken Einfluss auf unsere Entscheidungen haben. Zusammengefasst lassen sie sich mit dem Akronym MINDSPACE erklären: Jeder Buchstabe steht dabei für einen psychologischen Effekt, mit dem sich der Kontext einer Entscheidung gestalten lässt. Von Messenger (Absender) über Priming (Herausstellen) bis Ego (Ich-Bezug) finden Sie hier unterschiedliche Wahrnehmungs- und Handlungsebenen, die Sie als Rahmen für erfolgreiches Nudging nutzen können.
Einige sind Ihnen sicher bereits aus dem Businessalltag bekannt. Wenn man sich z.B. bei Mitarbeiterprogrammen mit einem Opt-out aktiv gegen eine standardisiert vorausgesetzte Teilnahme entscheiden muss (Default). Oder wenn Sie zu Hause Ihren Lieben den Staubsauger so offensichtlich in den Weg stellen, dass einer von ihnen darüber stolpern muss (Salience). Inspirationen und konkrete Anwendungen für die Arbeit im Aufsichtsrat haben wir Ihnen nachfolgend als Toolbox zusammengestellt.
Leadership by Nudging
MINDSPACE: Nudging-Mechanismen in der Aufsichtsratsarbeit*
Im MINDSPACE Framework hat das Behavioural Insights Team (BIT) der britischen Regierung 2010 die wirksamsten Effekte zur Implementierung verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse in den Entscheidungskontext veröffentlicht. Jeder dieser Nudging-Mechanismen definiert da- bei einen Buchstaben des Akronym MINDSPACE.
Mechanismen | Effekte | Anwendungen in der AR-Arbeit |
Messenger (Absender) | Einfluss der Autorität des Absenders auf die Wahrnehmung der Information | Eigenen Expertenstatus herausstellen oder AR-Kollegen / externe Partner strategisch einbinden |
Incentives (unbewusste Anreize) | Einfluss der Wahrnehmung, was wir durch unser Verhalten gewinnen oder verlieren (z.B. Verlustaversion) | Devil’s Advocat mit kritischen Fragen und Worst-Case-Projektionen nutzen, um mögliche „Verluste“ aufzuzeigen |
Norms (Normen) |
Social Proof / Peer Group Pressure – Das Verhalten anderer hat einen starken Einfluss auf unser Tun | Offene Fehlerkultur: Learnings heraus- stellen und belohnen, Diskussionskultur stärken |
Defaults (Standards) | Menschen agieren vorhersehbar be- quem und nutzen den einfachen Weg | KI und neue digitale Tools als Standardoption setzen, um Arbeit im AR effizienter zu gestalten |
Salience (Aufmerksamkeit) | Auffälligkeit eines Reizes – Die Energie folgt der Aufmerksamkeit | Wichtige Botschaften prominent platzieren, z.B. die Kunst des Agenda Settings |
Priming (Herausstellen) | Fokussierung der Aufmerksamkeit durch unbewusste Assoziationen | Förderung eines Growth Mindsets durch zukunftsorientiertes Wording: Zukunft, Mut, Chance, Impulse etc. |
Affect (Emotionen) |
Emotionale Assoziationen prägen unser Handeln unmittelbar und direkt | Übersetzen von komplexen Strategien, Herausforderungen, Entscheidungen in Bilder, Geschichten, Erfahrungen |
Commitments (Selbstbindung) | Selbstverpflichtung sorgt für Verbindlichkeit und Konsistenz bei der Zielerreichung | Auswahl des richtigen Vorstands und Motivation durch Verknüpfung mit Vergütungssystemen |
Ego (Ich-Bezug) |
Ego Effekt – Handeln für ein besseres Selbstwertgefühl | Identifikation mit der Unternehmensidentität ermöglichen, z.B. ARe als Unternehmensbotschafter nutzen |
*In Anlehnung an Paul Dolan – Influencing Behaviour: The Mindspace Way, Ogilvy und eigene Beispiele
Bisher erschienen:
Leadership by Nudging (1) – Mit Behavioral Sciences bessere Entscheidungen anstoßen
Leadership by Nudging (2) – Führungskräfte sind auch Menschen
Quellen
Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt. Richard H. Thaler und Cass R. Sunstein (ECON 2022) Influencing Behaviour: The Mindspace Way. Paul Dolan (2010)
Ogilvy Consulting